Tanzen. Ausdruck und Gestalten. Intensivkunst.
Urform des Begreifens. Und Ausdruck jener Seins- und Gefühlszustände, die gestaltet und bewältigt werden müssen, weil sie das eigene Ich in Frage stellen. Seit archaischen Zeiten setzt sich unser Körper kunstvoll in Bewegung, in spontaner Expression und kalkulierter Inszenierung – ob allein oder in einem Ensemble. Nimmt man allein das 20. Jahrhundert mit seinen herausragenden Variationen und Neuerfindungen des Balletts, des Tanztheaters oder der Performance, bleibt einem nur das ehrfürchtige Erstarren als stillschweigende Huldigungsform: Die Balletts Russes begründeten das moderne Ballett, bei uns in Dresden wirkte Gret Palucca (ihre Hochschule für Tanz bis heute), Pina Bausch revolutionierte das Tanztheater und im Zenit ihrer choreographischen Karriere steht die Weltkünstlerin Sasha Waltz.
Sie, liebe Leser, sind aufgerufen sich am 1.6. von einem Jugendtanzprojekt im Mondstaubtheater inspirieren zu lassen: "HINeinSEHEN". Vier jugendliche Tänzerinnen zeigen uns ganz nebenbei und doch ambitioniert, worin moderner Ausdruckstanz bestehen kann, ohne den Ballast einer vielerprobten Tanz- oder Performancekarriere im Genick zu haben. Als ein sehr persönliches, dennoch künstlerisches Statement muß eine kulturelle Hervorbringung nicht notwendigerweise an den Maßstäben hochartifiziell geübter Schaffenskraft ausgerichtet sein. Um etwas sinnvoll mitzuteilen, was viele oder gar alle angeht, bedarf es manchmal vorwiegend der Authentizität und Glaubwürdigkeit. Die Kunst muß dabei nicht auf der Strecke bleiben, die Nachwuchskünstlerinnen geben uns beileibe kein getanztes Tagebuch zum Besten.
Zur identitätsstiftenden Leitfigur des Stücks wurde Kassandra auserkoren, die antike Seherin, der niemand glaubte. Sie verkörpert eine fundamentale Tragik wie nur wenige Gestalten der Mythologie und Kulturgeschichte. Die Jugendlichen offenbaren uns, wie schwer es sein kann, erwachsen zu werden, Probleme und Empfindungen zu artikulieren, die einen sprachlos machen können. Improvisierend und gezielt kann Körpersprache jedoch Mittel und Wege finden, um Erfahrungen zu überprüfen und anschaulich auszudrücken. Wenn aber einem niemand glauben will, die eigene Wahrheit nicht verstanden wird, war schon immer Kunst ein Lösungs- und Transportmittel. Gabriele Bocek, die das Mondstaubtheater mitbegründete und dort als Choreographin arbeitet, hat in Zwickau mit "HINeinSEHEN" eine kulturelle Höchstleistung vollbracht: Suchen von Wahrheit, Ausdruck der eigenen Wahrheiten bezeugen, Tanzen auf eigene Gefahr, Sich-Verständigen gegen Zweifel und das Verzweifeltfühlen. Besondere Kultur für einen Abend. Dankeschön!
Kulturbürgerin des Monats: Susanne Hartzsch-Trauer, Koordinatorin des Mehrgenerationenhauses und treibende Kraft der Freiwilligenmesse Aktivoli
Ein Jugendtanzprojekt
Aufführung: 01.06.2017 | 19 Uhr, Probebühne Mondstaubtheater