Salto Mortale

Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die Zirkus-Welt. Eine ganz archaische Variante, viel rum zu kommen, war zumindest früher, sich einem Wanderzirkus anzuschließen, vermutlich nur um festzustellen, daß das Salär eines Kirmes- und Rummeljunkies eines der knappsten Güter ist. Als etwas wunderliche Kulturinstanz mit Alleinstellungsmerkmal bleibt der Zirkus als echtes Live-Erlebnis hineingespielt in unser aller Bewußtsein, ein theatralischer Topact, freilich auch mit einem unvermeidbar nostalgischen Blick auf geschickt tollpatschige Clowns und hübsch flitternde Mädels hoch zu Pony.

 

Zwickau hat Glück – Europas größter Zirkus hat sich für 10 Vorstellungen vom 13. – 18.9. angesagt.

 

Der altehrwürdige Zirkus "Krone". Leider habe ich ihn nie live gesehen, nur ein Schwarzweiß-Filmchen aus dem festen Münchner Zirkusgebäude, als 1963 dort die Beatles auf ihrer Blitztournee Station machten (bei Youtube). Lediglich auf den Fernsehrängen war mir ein Besuch vergönnt, als der Zirkus Krone seine neuen Programme einmal im Jahr präsentieren durfte. Irgendwie klar, mich faszinierten stets die Löwen und Tiger am meisten, wusste man als Kind ja nie so recht, können sie aus dem Käfig (bzw. Fernseher) ausbrechen, mit einem gewaltigen Satz auf dich zuspringen und ratzeputz auffressen. Und bei den Hochseilakten war einem immer Angst und Bange, wie viele Artisten denn nun abstürzten bei welch waghalsigem Flugmanöver, natürlich "nur" ins eingeplante Netz … trotz aller Artistenehre mit ihrem Wiederholungszwang bei misslungener Darbietung.

 

Streifen Sie umher im Zirkusbiotop, nicht nur unterm bestirnten Zelt, sondern auch zwischen dem ausgebreiteten zirzensischen Ambiente, lustvoll nach der etwas strengen Luft schnappend mit ihrem Duft nach extrem wilden Tieren, zumindest nach Elephantendung, wenigstens aber den Ausdünstungen einer sympathischen Pferdchenhorde, von gelehrigen Ponys und gelehrten Affen. Tja, und da haben wir schon ein political-correctness-Problem. Zur Kultureinrichtung Zirkus gehört die Haltung und Dressur von Tieren, für viele Tierschützer und -liebhaber aber der Sand im Getriebe Zirkus. Keine Tiere werden das Zirkussterben jedoch noch weiter beschleunigen.

 

Ich schlage vor, jede Kindheit braucht den Zirkus als identitätsstiftende, etwas irrlichternde Grunderfahrung und jeder Erwachsene sollte sie wiederholen. Also hingehen auf den Platz der Völkerfreundschaft, vor allem dann, wenn dort irgendwann kleinere Zelte aufgestellt werden von nicht so potenten Platzhirschen wie dem Zirkus Krone. Trotzdem, auch dort müssen der Besuch sein und zwei, drei Rubel rollen. "Manege frei" – nicht nur Bretter, auch Zelte, die die Welt bedeuten, sollten uns verführen und berühren.