Multikultipizza

André Heller, der große österreichische Chansonnier und Inspirator, bekundete einmal zurecht: "Die wahren Abenteuer sind im Kopf." Damit habe ich mich immer verlässlich herausgeredet, keine globale, kosmopolitische Existenz aufs Parkett gelegt zu haben. Schwaben, England, Berlin, Sachsen – zu mehr hat es halt nicht gereicht. Wie viele Städte und Länder, Berge und Täler, Strände und Meere blieben von mir unentdeckt. Und ungezählte Menschen und Abenteuer sind mir nie begegnet …

 

Aber es gibt eine Alternative. Gehe ich schon nicht in die Welt, lasse ich die Welt zu mir kommen. Nach dem Motto: Welt find ich gut. Und: Die Welt ist nicht Zwickau, aber Zwickau ist die Welt, genau genommen eine Weltstadt. Nach solch verschwurbelt grüblerischen Erdumkreisungen lande ich genau dort, wo ich in Zwickau auf definitive Globalität treffe. Zum Beispiel im Bahnhofskiosk mit seiner großen Auswahl an internationalen Tageszeitungen, auch wenn ich sie nicht lesen kann. Oder ich kann in den drei Buchhandlungen vor Ort nach Wole Soyinka aus Nigeria oder dem Ägypter Nagib Mahfuz stöbern – beide Literaturnobelpreisträger. Will ich über den Tellerrand hinausschauen, gehe ich in die Feinkost-Abteilung im Supermarkt oder in eine der vietnamesischen Obst- und Gemüse-Boutiquen innerhalb des Dr.-Friedrich-Rings. Aber auch im Globus oder bei beim Aldi kommen die Orangen, Papayas und Kiwis nicht aus weltberühmten Plantagen an der Mulde, sondern von ebenso weit her wie der Viktoria-Seebarsch, die Jacobsmuscheln oder Garnelen an der Fischtheke. Waren Sie schon einmal im Weltladen im Gasometer? Im Rahmen des Fair Trade werden dort Produkte aus allen Weltgegenden angeboten. Überhaupt wären die Regale ohne (essbare) Importe ähnlich leer wie ein Spatzenhirn, das fremdelt, wenn es Blaumeisen, Rotkehlchen und Grünfinken im Vogelhäuschen entdeckt - hätten wir im Supermarkt keine Produkte aus allen anderen vier Kontinenten.

 

Und ich will nicht fragen, woher unsere Hemden und Blusen, Hosen, Jacken und Kleider kommen, wenn sie nicht gerade niedriglohnmäßig in Bangla Desh, Sri Lanka und Taiwan zusammengenäht werden. Und nur von deutschfabrizierten Schiesser-Klamotten wird uns nicht warm.

 

Woher manche Autos mit Migrantenschicksal kommen, wird an dieser Stelle nicht verraten und auch nicht, von wo unser Benzin angekarrt wird. Das wissen wir alle …

 

Jedenfalls ist mein Alltag in höchstem Maße multikulturell strukturiert und angefüllt. Goethe prägte den Begriff Weltliteratur vor 190 Jahren. Welch großartige Vielfalt liefert die Weltmusik mit Künstlern z.B. aus Afrika. Auf der Biennale in Venedig gibt es wie auf der documenta ein selbstverständliches Miteinander der Künste aus aller Welt. Und ich empfinde großes Vergnügen in Büchern zu blättern und zu lesen über mir fremde Weltregionen oder lustvoll Fernweh-Filme anzuschauen, die mein Welt-Bild bereichern. Erfreulicherweise finden sich auf der terra incognita stets neue, vielversprechende weiße Flecken, je mehr ich von ihr - ohne Berührungsängste - erkenne.

 

Dabei ist es letztlich egal, ob ich mal einen Himalaya-Whiskey aus Nepal getrunken, ein paar exquisite Sushis oder cross-würzige Heuschrecken verschluckt habe. Multikulti sind auch die allfällige Pizza Quattro Stagioni, der böhmische Knödel im Wenzel, Pelmeni, Gyros und Falafel. Die Welt bekommt immer interessantere weiße Flecken, je mehr ich von ihr sehe.  Das Wichtigste aber sind die Begegnungen mit interessanten Menschen, die mir Neues aus der Ferne zeigen. Wie dies bei einer Shisha meine syrischen Freunde tun oder beim Skypen mit mein Kommilitone aus Ghana, der heute Germanistik-Professor in Harvard ist. Erinnern Sie sich auch an die offene und vielfältige Plattform der Interkulturellen Woche Ende September. Viel gesehen. viel gelernt.

 

Ohne globalen Input stehe ich ziemlich nackt und hungrig und stinksauer auf dem Hauptmarkt und wehklage in die unendlichen dunklen Weiten: "Welt, warum lässt du mich allein?" Es werde Licht, und ich sehe fast alle von Ihnen neben mir stehen. Auch Sie rufen, daß die bunte Welt nach Zwickau kommen möge. Denn Mauldäschle, Thüringer Rostbratwurst und griene Klees allein machen den Kohl nicht fett.