Noch'n Skandal

Vermutlich ist Zwickau nach Feierabend genauso skandalträchtig oder skandalverliebt wie die meisten harmlosen Städtchen mit leicht erhöhter Fieberkurve. Scheußlich allerdings die Menschheitsgeschichte, ist sie doch eine schäbige, aber höchst vitale Chronique scandaleuse, durchsiebt von Kriegen, Kulturkämpfen und, damit auf ewig alles läuft wie geschmiert, einer nie unterbrochenen Folge von Kopulationen. Im kleinen Maßstab benötigt jeder gediegene Einzel-Skandal neben Protagonisten und Aufregerpotential auch eine geneigte Öffentlichkeit, also voyeuristische Follower.

 

Und, meine Pappenheimer, alles, was mit Kultur zu tun hat, ist durchweg skandaltauglich. Vorzugsweise wenn die Beteiligten medial gehypt, noch besser als F-Promi dschungeltauglich sind. Ein Kunstskandal im engeren Sinn hat meistens mit unlauteren Mitteln zu tun, z.B. Kunst nachmachen, aber niemandem davon erzählen. Oder man baut sich zum Werte- und Moralblockwart auf und riskiert einen veritablen Pornoskandal. Sex sells contra "MeToo", klar. Da werden jetzt im Bannstrahl einer neuen Retroprüderie und Gender-Correctness im Museum zu Manchester ein paar berufsmäßig barbusige Teichnymphen abgehängt. Dank Jonathan Meese war vor 15 Jahren ordentlich was los in den Zwickauer Kunstsammlungen. Wegen ein paar eingestreuter polnischer Pornoblättchen in seiner Kuppelhallen-Installation. Sogar ein Staatsanwalt ermittelte... Museum und Kulturamt standen unter Pornographie-Verdacht, Besucherrekord.

 

Jetzt könnte man sich die Domhofgalerie zur Brust nehmen und die für Saubermänner und Betschwestern offensichtlich nur begrenzt stubenreine Ausstellung von Tasso. Mit so erbärmlich hinterwäldlerischer Tugendbolzerei konnte und durfte niemand rechnen. Wer auf den effektvollen Marketingtrick der rot verhangenen, "verbotenen Liebe" verfallen ist oder in vorauseilendem Gehorsam und aus Angst vor Publikumsbeschimpfungen die Augen verschloss, wir wissen nicht, wer und wie viele da jetzt die Hand heben. Ein flüchtiger Blick in die internationale Gegenwartskunst hätte ungezählte Beispiele eines lässigen Umgangs mit allerlei Geschlechtsteilen ans Tageslicht befördert. Publikumsmagnet Jeff Koons etwa, mit ästhetischen Porno-Photos, die in allen Museen der Welt andächtige Blicke einheimsten.

 

Heute: Anything goes contra lustvolle Verklemmtheit. Wir, die Busen für ein relativ weit verbreitetes Phänomen halten, erdulden bedenkenlos, aber sittsam, wenn moralisch gereifte Zeitgenossen den dreckigen Picasso und schmutzigen Pechstein, den schmierigen Schiele und den verflixten Dix für unverbesserlich obszön halten sowie moralinsauer das lasterhafte Fernsehprogramm als brandgefährlich und unguckbar wegdrücken. Und Rubens ist erst recht ein süß-klebriger Hingucker.

 

Tassos Knutscherei größtmöglichen Erfolg – mit offenem Visier!