Die Lieblingsbeschäftigung (=Lieblingsnebensache) eines umfassend und stilsicher sozialisierten deutschen Mannes ist: Fußballgucken. Mit Bier. Im Ranking folgt hundertprozentig ein hochkarätiger Theaterbesuch, wie früher mit Johannes Heesters oder dem Ohnesorg-Theater. Aber ich will auf die drittplatzierte, im Gemüt und Verhalten fest einzementierte Konstante der männlich deutschen Welteroberung hinaus – und das ist unter Garantie: Spiele Spielen. Mit: der Eisenbahn. Hab ich vor 50 Jahren auch gemacht, mit einer Märklin-Bahn und einigen selbst zu bastelnden 60er-Jahre Einfamilienhäuschen, Tankstellen, Bahnhöfen und grün befilzten Plastikbergen mit Minikühen drauf.
Im Zwickauer Bahnhof steht eine solche Eisenbahnidylle herum mit Geldschlitz, damit sich das Bähnchen zwei Minuten im Kreislein dreht und im Tunnelchen verschwindet. Und das Kind im Manne wirft da auch verdammt zufällig mal einen Groschen rein, um den Enkel pädagogisch wertvoll auf die wahre Lebensschiene zu setzen, auch wenn sie nur im Kreis herum führt. Goethe bekam auch mal eine Modellokomotive aus England geschenkt, die "Rocket" (1829) hieß. Von der richtigen Eisenbahn befürchtete er, daß durch ihre Geschwindigkeit "junge Leute viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel fortgerissen" würden. Hier irrte der deutsche Welt- und Supergeist und erschuf groben, wenig visionärer Unsinn. Die Beschleunigung des Internets von Null auf Unendlich, aber auch dessen radikaler realer Materialverlust wäre ihm, dem Sinnenmenschen, sicher wie ein vermaledeites Zaubergespinst vorgekommen. Heutzutage läuft wahrlich der Weltenlauf eigenartig unrund, doch solange die idyllische (Miniatur)Welt wie geschmiert läuft, solange nur die Eisenbahn im Zwickauer HBF stoisch ihre Runden zieht, bleibe zumindest ich leidlich gelassen.
Aber Züge gibt's auch erwachsen, richtig groß. Und in die Jahre gekommen, aber wiederbelebt. Wo? Raus Richtung Reinsdorf von der Paradiesbrücke aus gesehen. Seit Jahren fahre ich dran vorbei, an der alten schwarzen kleinen Lokomotive. Nun habe ich Station gemacht. Um mit der kleinen "Emma" eine Runde auf ihren ganz eigenen Schienen zu drehen, die der ZEV gehören. Mit viel Liebe und Aufwand in Gang gehalten und an den Mann gebracht, zelebriert in seinem zehnten Jahr der Förderverein Brückenbergbahn e.V. Eisenbahn-Nostalgie. Dabei reicht die Historie der Bahn und Gleise zurück bis 1872 und nimmt seit 2012 wieder Fahrt auf bis in die Gegenwart. Angesichts der 30 km/h Höchstgeschwindigkeit hätten wir Goethe sicher eine veritable Sinn- und Blutdruckkrise attestieren müssen, um ihn vermutlich wiederzubeleben.
Schnell stellt sich ein Retrogefühl oder ein wenig Eisenbahnromantik ein, immerhin fährt man auf der Originalstrecke der alten Kohlenbahn, allerdings angetrieben mit Diesel und nicht mit Kohle, deshalb ohne Dampf. Es macht Spaß im Führerhäuschen herumkutschiert zu werden, ist annähernd so weitsichtig wie Cockpittrip im Jumbo. Ok nicht ganz. Mit Baujahr 1956 kommt die schwarze Lok angerollt, die blaue stammt von 1961. Seit vier Jahren tuckern sie über insgesamt 4 KM Gleise und haben bislang 3000 Passagiere über die Mulde und nach Pöhlau transportiert. Einen Waggon gibt es auch, für Partyfahrten und die Mitgliederversammlung der 14 Bahnenthusiasten. Auf der Vereinswebseite stehen die Termine für weitere Lokschnupperkurse. Also nichts wie hin. Unterwegs stellen sich so so viel mehr an neuen Perspektiven auf die (heimatliche) Welt ein, als bei normaler Benutzung der Alltagswege. Wer Manns genug ist, schaut aber der Bummelbahn beim Umrunden der (idyllisch standardisierten) Welt im Bahnhof zu.
Und überhaupt: Alle reden vom Wetter. Wir nicht.