Zwigge at night

 

Ist man erstmal vom Flecken übers Dorf zur Stadt gereift, verfügt man auch als Metropole light über hinreichend Fläche und Laufwege, darüber hinaus über Gebäude, Denkmäler und eine qualitativ hochwertige Chronik  an Events. Außerdem hat sich ein kommunaler Stapel von historisch verbürgten C-Promis und zumindest zwei echten A-Celebrities angehäuft. Somit wäre die erste fundamentale Anforderung übererfüllt, um eine zweite, noch wesentlichere Voraussetzung Wirklichkeit werden zu lassen: Damit die Stadt beachtenswert, ja profitabel denkwürdig wird, benötigt sie in regelmäßiger Wiederkehr Durchreisende, echte Besucher und viele geneigte Gefolgsleute, nach dem Motto: "Schönheit liegt im Auge des Betrachters", wie uns schon vor zweieinhalb Jahrtausenden der Flottenkommandant und Historiker Thukydides in unsere ästhetischen Wahrnehmungsprogramme einbrannte. Jedwede Stadt ist besucherspezifisch nur gelegentlich und partiell schön, wenn sie nicht gerade Quedlinburg oder Tübingen heißt. Eine Stadt kann sich also im Eigeninteresse nur dann optimal vermarkten, wenn und weil sie aus mehr oder weniger außergewöhnlichen Zutaten gebacken ist. Und auch schon mal in mehr als 1000 Jahre im Backofen sich als knusprig und knackiger Appetithappen zu entpuppen. Stadthungrige kommen bei Zwigge aber absolut auf ihre Kosten Nach 900 Jahren kann man ein echt riesiges Fass aufmachen mit bemerkenswerter Komplett-Historie, sagenhaften Histörchen und Anekdoten inne drinne. So weit so gut. Es fehlt noch etwas Drittes, das ein Ort zum Tollsein braucht. Was nützt schon eine quicklebendige Stadt dem geneigten Stadtnovizen, wenn ihn nicht ein leidenschaftlicher Erzähler an die Hand nimmt. Wissbegierige Berichterstatter entwickeln für unsere kleine Stadt an der Mulde einen fast unstillbaren Wissensdurst. Selbstverständlich will und soll ihr Wissen geteilt werden. Wir erkennen die klassische Kommunikations-Konstellation "Erzähler – Buch – Leser" oder alltagslinguistisch: "Sender – Botschaft – Empfänger".

 

Zwickau hat sich nun einiges ausgedacht an realem Erzählstoff, den einige kompetente Stadtführer mit beträchtlichem Faktenwissen und rhetorischer Finesse an den lauschenden und unerbittlich mittrabenden Tourikonvoi weiterreichen. Fehlt noch ein Motto: Straßennamen, Träumerei mit Schumann, Zeitreise ins Mittelalter, Gänsehautgeschichten, Katharina von Bora und und und. Die Touristinfo hat den ganzen Themenkatalog parat. "Zwickau bei Nacht" bringt die dunklen Seiten der Stadt zu Tage. Sprichwörtlich um die Laterne kreisend, eingefangen von einem hellebardenbewaffneten Nachtwächter, der nach 140 Jahren erstmals wieder diesen düsteren Job anfasst, folgten an einem warmen Juliabend (der mit nie aufgetauchtem Blutmond) fünfzig Nachtschwärmer der anekdotisch-kurzweiligen Stadtführung. Nun wissen wir,  wo und wann anno dazumal die Lichter ausgingen, wie hochreglementiert das Alltagsleben vor sechshundert oder dreihundert Jahren war und daß Schweine (mäusemäßig) damals mehr zählten als Frau und Kind. Heute ist es Gott sei Dank irgendwie anders. Ein Traumjob jedenfalls war die Nachtwächterei nicht, galt sie doch als stündliche Ruhestörung, allerdings ausgestattet mit Polizeigewalt (weil's noch keine Polizei gab, die Randalierer und Ruhestörer einsperrte).

 

Andere Themen, andere Geschichten. Nicht nur Zwickau-Besucher sollten die Gelegenheit einer Führung ergreifen, besonders Einheimische sind prädestiniert, sich Zwickauer Geschichte(n) erzählen zu lassen oder mit dem Spezialgefährt "Segway" eine Stadterfahrung proaktiv zu erfahren. Ich geh besonders proaktiv zu Fuß und erarbeite mir eine nachhaltige Privat-Tour von Eisdiele zu Eisdiele.