Freundlich bleiben

 

Höhepunkt und Ende von Brechts "Vergnügungen" (1954) lauten "Freundlich sein". Eines meiner Lieblingsgedichte.

 

Wer ist schon immer freundlich? Oder höflich? Bereit einem Mitmenschen zu helfen? Vermutlich nur die Seligen und Ungeborenen. Vielleicht auch noch solche Mitstreiter auf Erden, denen nie Böses widerfahren ist oder die einfach keine Zeit haben, um Unfreundlichkeiten unter die Leute zu bringen.

 

Natürlich haben gutes Benehmen, Zuvorkommenheit, Freundlichkeit etwas zu tun mit Kultur, manchmal einfach mit Kultiviertheit. Erziehung spielt eine Rolle, auch die Ausbildung und Bildung, das Umfeld. Das Dumme ist, auch ein derart positiv geeichter, manchmal netter Mensch kann gattungsspezifisch versagen und zum Kriminellen, Diktator oder galanten Hochstapler werden. Mit Freundlichsein kann man fast jeden wort- und tatenreich einwickeln, jedoch unter der Hand vergiftete Pfeile verschießen. Das geschieht in jeder globalen, lokalen oder privaten Ecke. Auf Sizilien, in Moskau oder Zwickau.

 

Doch Rettung naht: Letzten Endes zahlt es sich aus, ein konstant freundliches Geschöpf auf Erden zu werden, zu sein und zu bleiben. Nicht weil man es dann einmal im Himmel an die großen Mannatöpfe schafft oder ungezählte Jungfrauen zugeführt bekommt. Man kann den Lohn für gute Umgangsformen, für ein Lächeln oder eine helfende Hand schon sofort und vor Ort erhalten. Hier kommt doch das Prinzip der Gegenseitigkeit ins Spiel – Geben und Nehmen. Gemeint ist natürlich nicht, daß eine Hand die andere wäscht oder daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Über uns wacht der "Kategorische Imperativ" des großen deutschen Philosophen Immanuel Kant, der sehr, sehr vereinfacht, aber mit umfassender Gültigkeit besagt und verlangt: "Was Du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu." Korrekt. Ist aber zu passiv. Man muß Gutes auch tatkräftig tun, damit die sich selbst belohnende Freundlichkeit wirken und ein Feedback erhalten kann, was am besten gelingt, wenn sie tief in einem als Denk- und Verhaltensrichtschnur angelegt ist.

 

Freundlichsein macht auch Spaß, vor allem einem selbst, wenn man bemerkt, wie der andere vielleicht überrascht ist, aber einen positiven Impuls zurücksendet.

 

Jeder kennt aber in seinem Leben ein paar Menschen, die es nicht so haben mit dem freundlich zu andern sein, denen die blasierte Muffigkeit im Gesicht festgezurrt ist und denen Schnöseligkeit und Arroganz mehr zur Freude gereichen als ein taktvolles Lächeln. Aber die überschäumende Lebensfreude fällt doch bei solch misanthropischen Gemütern eher sparsam aus.

 

Zeitgenossen, die mit Lächeln und freundlichen Worten geizen, kann man ja auch aus dem Weg gehen. Auch das ist eine Kulturleistung: Sich nicht allem aussetzen, sondern mal den Rückzug antreten, andere sich von ihrem eigenen Donnergrollen vergraulen lassen.

 

So habe ich in diesem Sommer der Eisdiele meiner Wahl "Fahr weiter" gesagt. Es gibt wirklich gutes Softeis in Zwickau. Allerdings mag ich aufgrund frühkindlich schicksalhafter Prägungen nur Vanille. Häufig (fast jeden Tag) ging ich zu meiner mobilen Lieblingssofteiszapfstation und bestellte ein großes Vanilleeis. Da halte ich eines Tages irgendwas Bläuliches in der Waffel, halb Blau, halb Weiß, aber in einem homogenen Brei. Sag ich: "Will ich so nicht". Antwort: "Kommt bei uns aber manchmal so aus der Düse, ist so, und dann iss es halt nicht, und der Nächste." Ich: "Mach ich, und tschüss." - Ich bin dann mal freundlichst ergeben weg.